Jeder,
der mit irgendeiner Kampfkunst anfängt, möchte früher oder
später seinen "schwarzen Gürtel" haben. Der schwarze Gürtel
scheint eine Art magische Anziehung zu besitzen, er scheint der "Meisterbrief"
in den Kampfkünsten zu sein, was er ja in gewisser Weise auch ist.
Doch
wenn wir das Graduierungssystem etwas genauer betrachten, so stellen wir
fest, dass die Gürtel eingeführt wurden, um den Fortschritt im
Karate auch nach außen hin sichtbar zu machen. Hier in der westlichen
Welt gibt es weit mehr Gürtelfarben als beispielsweise in Japan. Zwar
gibt es dort die gleiche Anzahl von Kyu-Graden, jedoch sind die Gürtelfarben
dort auf weiß, grün, braun und schwarz beschränkt. Das
Leben der asiatischen Schüler besteht aus einer Vielzahl von Prüfungen.
Gürtelprüfungen
im Karate sind hier nur ein Teil davon. In Japan gilt es als unanständig,
sich ständig in den Vordergrund zu stellen. Möglicherweise ist
dies einer der Gründe, warum es dort weniger Farben gibt, als hierzulande.
Dennoch haben alle erreichten Graduierungen nur einen Sinn: Sie dokumentieren
den erfolgreichen Abschluss einer bestimmten Lernphase, eines bestimmten
Trainingsabschnitts. So sind sie alle nur ein Meilenstein auf dem langen
Weg.
Durch
das Training werden uns immer wieder unsere Schwachpunkte aufgezeigt, an
denen wir arbeiten müssen, um unsere Techniken weiter zu vervollkommnen.
Kempo kann wohl zu recht als der Karate-Stil bezeichnet werden, der am
meisten auf das Detail achtet. Doch nur, wenn auch die letzte Kleinigkeit
stimmt, ist auch die höchste Effektivität und Perfektion gewährleistet.
Das liebe ich am Kempo. Immer wieder gibt es Dinge, die man neu entdecken
kann, die man auf's neue lernen oder verbessern muss.
Prüfungen
helfen uns hier. Doch dazu müssen die Prüfungsanforderungen auch
dem entsprechen, was der Schüler auf der jeweiligen Stufe braucht.
Wir brauchen keinen Universitätsabschluss, bevor wir das Gymnasium
verlassen haben. Wir sind nicht automatisch erwachsen, nur weil wir das
18. Lebens- jahr vollendet haben. Wir haben nicht das Recht uns über
andere zu erheben, nur weil wir glauben, dass wir es besser wüssten
als der andere.
Das
Gymnasium muss optimal auf das Studium an der Universität vorberei-
ten. Unsere Lebenserfahrung nimmt mit jedem Tag zu und wir lernen ständig
neues und müssen bereit sein, anderen geduldig unseren Standpunkt
zu erklären. Wenn wir andere von unserem Standpunkt überzeugen
können, dann waren wohl unsere Argumente gut und richtig (oder wir
sind ausge- zeichnete Schaumschläger).
Was
bedeutet dies nun auf das Karate bezogen? Was ich damit sagen will ist,
dass jede einzelne Karate-Prüfung auf die nächste Prüfung
vorbereiten soll. Die Anforderungen müssen von Stufe zu Stufe erkennbar
steigen aber sie dürfen wiederum auch nicht unerreichbar hoch sein.
Ebensowenig wie irgend jemand mit 18 erwachsen geworden ist und jetzt die
Lebensweisheit eines 30 oder 40jährigen besitzt, kann man die technischen
Karate-Graduierungen, und hierzu zählt insbesondere auch der 1. Dan,
vom Erreichen eines bestimmten Alters abhängig machen. Der 1. Dan
ist ein Experte der Grundtechniken, d.h. er ist in der Lage, die Grundtechniken
jetzt korrekt - unter Beachtung von Timing, Distanz und Kontrolle - auszuführen.
Das ist aber auch schon alles, was aber wiederum nicht heißen soll,
dass man "nur" ein Shodan ist. Den Shodan zu erreichen, ist eine Leistung,
die nicht vielen gelingt. Doch Shodan zu sein, hat nicht nur mit "geistiger
Reife" zu tun, wie es besonders hier in Deutschland immer wieder proklamiert
wird. Um ein Meister seines Handwerks zu werden, muss man sich in seinem
Handwerk auskennen und es gut lernen. Der Meister ist in der Lage, das
Handwerk auch an andere weiterzugeben. In diesem Sinne ist der Shodan wohl
am ehesten mit dem Gesellen im Handwerk zu vergleichen. Er hat sein Handwerk
gelernt und geht nun auf Wanderschaft, um die letzten Tricks und Kniffe
zu lernen, Erfahrung zu sammeln und dann seine Meisterprüfung abzulegen.
Es
wird hierzulande immer wieder argumentiert, dass der Schwarzgurt ein Meistergrad
sei und dazu Lebenserfahrung gehöre, man Vorbild sein müsse.
All dies ist richtig, aber es berechtigt uns nicht, anderen den Fortschritt,
die Prüfung zu verwehren. Jeder hat ein Recht auf eine Prüfung
und wer Talent hat, muss auch entsprechend gefördert werden - er hat
sich durch sein beständiges Mühen die Prüfungsteilnahme
verdient.
Es
versteht sich von selbst, dass höher graduierte Schüler ihren
jüngeren Schülern Vorbild sein müssen. Aus dem asiatischen
Gesellschafts- verständnis heraus ist der jüngere Schüler
hier ein zwiespaltiger Begriff ebenso wie der Begriff "Sensei". Ein Sensei
ist jemand, der jemandem anderen etwas voraus hat. Sensei ist die gebräuchliche
Bezeichnung für "Lehrer". Sie drückt aber in den Kampfkünsten
zudem auch Respekt, Ehrerbietung und Dankbarkeit gegenüber dem Lehrer
aus. Höher graduierte Schüler tragen durch ihr beispielhaftes
Verhalten zu einem guten Klima im Dojo bei. Sie helfen den jüngeren
Schülern. Zugleich dürfen sie zu Recht von den jüngeren
Schülern erwarten, dass diese ihnen Respekt und Achtung entgegenbringen.
Doch trotzdem spielt auch das Alter eine entscheidende Rolle. Niemals wird
sich in Japan ein Erwachsener vor einem Kind als "älteren Schüler"
verbeugen. Zuerst kommt das Alter und damit einher die Lebenserfahrung
und dann der Fortschritt in der Kunst. Die gesellschaftliche Stellung spielt
in Asien außerdem noch eine nicht zu unterschätzende Rolle,
auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.
Betrachten
wir dies alles zusammen, so werden wir feststellen, dass die Prüfung
zum Shodan nichts als ein weiterer Schritt auf dem langen Weg ist. Sicherlich
ein entscheidender, denn ab dem Shodan verändert sich die Gürtelfarbe
nicht mehr - sie bleibt schwarz, doch man wird damit nicht quasi über
Nacht zu einem anderen Menschen.
Letztlich
ist der Schwarzgurt etwas Besonderes, weil ihn nicht viele erreichen, weil
ihnen einfach die Geduld fehlt, so lange durchzuhalten. Die ihn erreichen
werden erkennen, dass der Shodan auch nur ein weiterer Meilenstein auf
dem Weg ist. Wir werden durch die Prüfung nicht besser oder schlechter,
aber durch die bestandene Prüfung können wir den erfolgreichen
Abschluss dieses Abschnitts dokumentieren und uns zugleich an die Bewältigung
des nächsten Zieles machen. Wenn ein Abschnitt erfolgreich abgeschlossen
werden kann, sollten nicht irgendwelche starren Regeln den Abschluss verhindern.
Es ist ein besonderer Meilenstein, weil sich die Gürtelfarbe ab jetzt
nicht mehr ändert, aber letztlich macht uns der schwarze Gürtel
noch nicht automatisch zum "Meister" oder "Sensei". Wir müssen ständig
an uns arbeiten und uns die Graduierung täglich neu verdienen.
Ein
Karatelehrer ist letztlich jemand, der uns positiv beeinflusst.
Das
Graduierungssystem ist wie eine Pyramide aufgebaut. Die Kyu-Grade werden
rückwärts gezählt, bis wir schließlich zum ersten
Dan (Shodan) gelangen. Damit ist die Grundlage, die Basis für die
Kampfkunst erreicht. Man ist jetzt den Kinderschuhen entwachsen. Vom ersten
Dan an werden die Graduierungen aufwärts gezählt. Von nun an
kann man wirklich Fortschritte in der Kampfkunst machen, denn die Grundlagen
sind verstanden und man kann tiefer in die Kunst eindringen. |